Samstag, 7. Dezember 2019

Alkohol, Heroin und Hasek

Neunzehnhundertirgendwann - als Bämmen noch bei Ästreich war, der  Weltkrieg noch nicht geschlagen und der "Schwejk" noch nicht geschrieben - veröffentlichte der tschechische Schriftsteller Jaroslav Hasek eine Kurzgeschichte namens "Eine Alkoholiker-Idylle". Eine besorgte Ehefrau [1] stellt fest, daß ihr haltloser Ehemann jeden Tag zwei Glas Bier trinkt, was bis auf den heutigen Tag unter Experten als sicheres Zeichen für Alkoholismus gilt [2]. Dagegen hat (in dieser Geschichte) ein Apotheker ein Medikament entwickelt, nämlich höchstprozentigen Schnaps.
Wenn du heutzutage diese Geschichte liest, dann tippst du dir an's Hirn und sagst dir, daß sich so einen Scheisendreck auch nur ein schwerer Alkoholiker wie Jaroslav Hasek ausdenken kann. Andererseits ist - das lehrt uns Erfahrung - die Wirklichkeit eine derart besoffene Gschicht, so vui Alkerhol können der Hasek und der Strache zusammen net saufn, daß sie sich das Folgende hätten ausdenken könnten.
Etwa um die gleiche Zeit, da Hasek seine Alkoholiker-Idylle geschrieben hat, hat die Firma Bayer das wunderbare Heilmittel Diacetylmorphin auf den Markt geworfen. Diacetylmorphin ist - wie der Name schon vermuten läßt - Morphium in dritter Potenz, es verhält sich zum Morphium wie 80-prozentiger Jamaica-Rum zu Bier. Diacetylmorphin, das damals schon und bis heute den Markennamen "Heroin" trägt, wurde unter anderem [3] als nebenwirkungsfreies, gut verträgliches und natürlich nicht süchtig machendes Heilmittel gegen Morphiumsucht verkauft.
 Als Nebenwirkungen wurden lediglich Verstopfung und leichte sexuelle Lustlosigkeit beschrieben, weshalb das Opioid von der Ärzteschaft sowie von den Patienten zunächst überaus positiv aufgenommen wurde.
Der Fairneß halber sei erwähnt, daß das anfangs ausgesprochen legale Medikament Heroin oral verabreicht wurde. Wer sich ein bisserl mit Wundermitteln auskennt, der weiß, daß orale Einnahme schonend und ausgesprochen gut kontrollierbar ist. In den dreißiger Jahren wurde Heroin dann (unter anderem weil man entdeckte, daß da Opium drinsteckt) verboten.

Nun verschwindet eine Droge nicht einfach durch ein Verbot, das lehrt uns die Lebenserfahrung. Solange es Bedarf danach gibt, wird die Droge weiter erzeugt und gehandelt, nach einem Verbot halt auf dem Schwarzmarkt. Die Preise steigen dadurch, und zwar drastisch, denn der Handelsmann zahlt nun zwar keine Steuern mehr, aber er muß das Risiko von Entdeckung und Sanktion kalkulieren. Wie reagiert der Konsument auf die Preissteigerung? Er wird versuchen, mit einer kleineren Menge des so kostbar gewordenen Stoffs mindestens die gleiche Wirkung zu erzielen, klar. Er zerbröselt die Tabletten und schnieft das Heroin durch die Nase. Ein anderer kommt auf die Idee, den Wirkstoff aufzulösen und ihn sich direkt in die Vene zu injizieren, nochmalige Potenzierung der Wirkung. Ah, jetzt ist das Heroin so richtig gefährlich geworden, ein weiterer Grund, die Drogengesetze zu verschärfen.
Durch das Verbot aber hat keine Aufsichtsbehörde mehr die Möglichkeit, die Qualität des in den Handel gelangenden Stoffes zu kontrollieren, als Junkie kannst du nur noch beten, daß dich der eben erworbene Stoff nicht umbringt. Damit du dich als Junkie über die Runden bringst (das Zeug ist inzwischen schweineteuer geworden), mußt du einbrechen, rauben, Apotheken überfallen oder dich prostituieren - Beschaffungskriminalität. Du rutscht nahezu zwangsläufig in das gesundheitliche und soziale Elend. Der Zugang zu Spritzen wird erschwert, du teilst dir die Kostbarkeit mit anderen Drogenkonsumenten, infizierst dich und krepierst.
Man kann es nicht oft genug sagen: Die Droge ist gefährlich, keine Frage, das Betäubungsmittelgesetz ist aber ungleich gefährlicher.
Du kennst die Sherlock-Holmes-Geschichten, in denen sich der Meisterdetektiv Kokain spritzt, das er zuvor ganz legal erworben hatte? Opium und alle seine Derivate waren bis vor über 100 Jahren noch ganz legal zu erwerben. Der Lehrer Lämpel aus den Wilhelm-Busch-Geschichten (ein Spießer im Quadrat) hat am Ofen behaglich seinen Knaster geraucht. Knaster hieß der Pfeifentabak deshalb, weil er mit Cannabis-Samen versetzt war, die immer dann ein knasterndes Geräusch erzeugten, wenn sie von der Flamme erreicht wurden. Zu Hegels Zeiten war der Schnupftabak mit Cannabis versetzt (High durch Schmai!). Hegel konsumierte reichlich davon, wodurch sich zwanglos seine... ich sag mal: merkwürdige Philosophie erklären läßt. Das Christliche Abendland hat viele Jahrhunderte lang mit den allermerkwürdigsten Drogen gelebt, ohne dran unterzugehen. Anfang der zwanziger Jahre kamen dann fast gleichzeitig in den westlichen Ländern die Betäubungsmittelgesetze [4]. Und mit den Betäubungsmittelgesetzen kam der oben skizzierte Wahnsinn. Ich habe es hier und anderswo schon x-mal geschrieben: Das Betäubungsmittelgesetz ist das Problem, dessen Lösung zu sein es vorgibt.

Inzwischen hat es sich herumgesprochen, daß Crystal Meth in den 30er und 40er Jahren in Deutschland (die Ostmark war damals Teil des Deutschen Reiches), und zwar in Berlin unter dem Markennamen Pervitin hergestellt und vertrieben wurde. Im Zweiten Weltkrieg war Pervitin in der Wehrmacht und darüber hinaus nahezu allgegenwärtig.
Ich kenne keinen Fachartikel von damals, der beklagt hätte, Pervitinkonsumenten würden die Zähne ausfallen. Die Zähne fallen den Leuten aus, seit Pervitin in illegalen Drogenküchen hergestellt wird (also erst seit neulich). Ich weiß nicht, ob es jeder hier weiß, aber illegale Drogenküchen werden nicht vom Gesundheitsministerium überwacht, eine Qualitätskontrolle findet nicht statt.
"Meth wird gewöhnlich in Untergrundlabors hergestellt, wo verschiedenen Amphetaminen (andere stimulierende Drogen) oder -derivaten andere Chemikalien beigemischt werden, um die Wirksamkeit des Produkts zu erhöhen. Ganz gewöhnliche Pillen wie etwa Erkältungspillen dienen oft als Grundlage für die Herstellung der Droge. Der „Meth-Koch“ extrahiert den Wirkstoff in diesen Pillen, nämlich Pseudoephedrin (eine chemische Substanz, die von dem Stimulans Amphetamin stammt), und kombiniert sie mit Zutaten wie Batteriesäure, Abflussreiniger, Lampenöl und Frostschutzmittel, um die Stärke der Droge zu intensivieren."
"Sowohl Bundeswehr als auch Nationale Volksarmee (NVA) lagerten Pervitin für den Ernstfall bis zu den 1970er Jahren ein. Es war Bestandteil der Verpflegung für Fallschirmjäger und wurde bei Übungen ausgegeben. Die NVA produzierte Pervitin in einer Fabrik in Königsbrück bis 1975; es wurde danach durch APo-Neuron abgelöst. Bei Piloten war Pervitin für den Notfall vorgesehen, und der Verbandsatz der NVA enthielt bis 1988 Pervitin. Auch nach 1945 wurde der Wirkstoff vom US-Militär zur Leistungssteigerung eingesetzt, beispielsweise während des Vietnamkriegs. Im Sport soll Pervitin als Doping­mittel genutzt worden sein (siehe auch: Fußball-Weltmeister 1954). Der österreichische Extremalpinist Hermann Buhl verwendete 1953 Pervitin bei der Erstbesteigung des 8125 m hohen Nanga Parbat im Himalaya.
Der unter starken Rückenschmerzen leidende US-Präsident Kennedy wurde in den frühen 1960er Jahren regelmäßig mit Amphetaminen therapiert. Durch die Veröffentlichung seiner Tagebücher im Jahr 2017 wurde bekannt, dass in den 1960er Jahren Konrad Adenauer, der damalige deutsche Bundeskanzler, gelegentlich Pervitin zur Leistungssteigerung konsumierte.
Das Fertigarzneimittel Pervitin blieb bis 1988 im Handel.
Einsatz findet die Droge auch in Sex-Orgien, sogenannten „Chem-Sexpartys“. In Berlin liegt der Konsumentenschwerpunkt gegenwärtig (2016) in der homosexuellen Szene. Zwischen den Jahren 2008 und 2012 hat sich die sichergestellte Menge der Droge verzehnfacht."

Ein wohlmeinender Irrer meinte einst, da die Gesellschaft unter Drogen leide, müsse 1 Grenze gezogen werden.
"Und du hast den Eindruck, daß diese Grenze auch nur einigermaßen dicht ist?" antwortete ich ihm. "Was für ein Kraut rauchst du? Seit vielen Jahrzehnten werden in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen die Drogengesetze verschärft - und es wird nichts, überhaubenz nix besser. Die ganze Verbieterei bewirkt nichts, gar nichts."
Der austro-amerikanische Psychologe Paul Watzlawick hat mal das unglückbringende Gesetz "Mehr desselben" formuliert. Du hast ein Problem und dazu eine Lösung. Die Lösung scheint dir plausibel. Nach einiger Zeit merkst du, daß die Lösung das Problem nicht löst, sondern eher noch verschärft. Ist klar, deine Lösung ist nicht radikal genug, als mußt du die Lösung verschärfen. Irgendwann stellst du fest, daß auch das nicht zu einer Verbesserung führt, also verschärfst du neuerlich...
Auf die Idee, daß die Lösung von Grund auf ein Schmarrn ist, kommst du in deiner Einfalt nicht.
Was wäre eventuell eine Lösung? Ich bin auch nicht dafür, Heroin in Kaugummi-Automaten zu verkaufen. Aber... stell dir mal vor, du bist Pusher und hast endlich die Hilde so angefixt, daß sie dein Zeug kaufen muß. Toll. Jetzt aber geht die Hilde zum Gesundheitsamt, läßt sich dort als Heroinabhängige registrieren und holt sich jeden Tag in der nächstgelegenen Apotheke ihre Dosis Heroin ab, und das zu einem derart günstigen Preis, daß du als illegaler Dealer niemals mithalten kannst.
Wenn ich der capo di tutti i capi der Drogenmafia wäre, würde ich Politiker, welche die Freigabe von Drogen (mit Aussicht auf Erfolg) fordern, erschießen lassen. Stell dir nur mal vor, ein ganz wesentlicher Geschäftszweig der Mafia würde wegbrechen, weil der Apotheker an der Ecke den Job übernimmt...
Die Alkohol-Prohibition in den USA hat uns gelehrt, daß durch die Prohibition die US-amerikanische Mafia (der Mob) erst so richtig fett geworden ist. Ein weiterer Effekt war, daß durch die Prohibition der biedere Normalbürger auf die Herren von der Organisierten Kriminalität angewiesen war, wenn er zur Hochzeit seiner Tochter ein bisserl Sekt haben wollte. Der biedere Normalbürger hat also in den zehn Jahren des Alkoholverbots gelernt, die Mafia als sinnvolle Institution nicht nur zu akzeptieren, sondern auch wertzuschätzen.
Und drittens, und das ist wirklich grauslig, ist der normale Bier- oder Weintrinker auf Schnaps umgestiegen, denn bei Schnaps ist das Volumen einer bestimmten Alkoholmenge deutlich geringer als bei Bier oder Wein, also leichter zu schmuggeln. Und in der Tat war nach der Prohibition die Anzahl der Alkoholiker in den Vereinigten Staaten erheblich höher als zuvor.
Leute, das kommt von diesem gottverfluchten linearen Denken. "Ich habe ein Problem, ich habe eine Lösung und fertig. Daß jede Lösung ein neues Problem erzeugt, halte ich für marxistische Propaganda."
Ein anderes Beispiel für die Unfähigkeit vernetzt zu denken: Hast du schon mal irgendwas davon gehört, daß ein Wissenschaftler mögliche Klimaveränderungen durch Windkraftwerke durchgerechnet hat? Du lachst jetzt und frägst, was denn um Gottes Willen Windkraftwerke am Klima verändern können. Na, die paar, die es bis jetzt gibt, werden nichts Großartiges bewirken, schon klar. Aber stell dir mal vor, was sein wird, wenn es sehr, sehr viele von diesen Dingern gibt: Sie fangen den Wind ab und verwandeln seine Kraft in elektrische Energie. Logischerweise müssen hinter den Windkraftwerken andere Windverhältnisse sein als es ohne diese Flügel gewesen wären.
Ich weiß nicht, welche Auswirkungen diese großräumigen Strömungsveränderungen der Atmosphäre auf das Klima haben werden, ob günstig oder verheerend, aber es müssen Veränderungen entstehen, es kann gar nicht anders sein.
Macht sich einer darüber Gedanken? Jetzt, wo man noch relativ einfach das Problem lösen könnte, ehe es wirklich entsteht, indem man etwa die Verteilung der Windmühlen so gestaltet, daß die Veränderung minimiert wird? [5]
Es fehlt an der Phantasie.


[1]   Amerikanische Wissenschaftler - wer sonst? - haben festgestellt, daß nahezu alles Elend dieser Welt von besorgten  Ehefrauen kommt. Aber das nur nebenbei.
[2]   Ohne es zu sein, aber auch das nur nebenbei. Witzigerweise befindet sich die besorgte Prager Ehefrau mit ihrer Besorgnis mit gar nicht wenigen schlauen Medizinern und Psychologen im gleichen Boot. Diese schlauen Mediziner und Psychologen - man könnte auch sagen: Narren - belegen jeden, der täglich Alkohol (wie wenig auch immer) konsumiert mit dem Bannfluch "alkoholabhängig". Wenn eines Tages deine Tochter kommt und dir sagt, sie habe einen Psychologen kennengelernt und wolle ihn heiraten, so verstoße sie. Gleiches gilt natürlich auch, wenn sie verkündet, sie wolle Psychologin werden.
[3]   Es wurde darüber hinaus als probates Hustenmittel vor allem für Klein- und Kleinstkinder angepriesen.
[4]   Heroin wurde allerdings erst in der Mitte der dreißiger Jahre vorboten, Pervitin (Crystal Meth erst 1988).
[5]   Irgendwann im Jahr 2019 habe ich gelesen, daß einer tatsächlich meine oben dargestellten Gedanken weitergedacht hat. Dummerweise habe ich mir die Quelle nicht notiert. So blöd bin ich manchmal, in den Ars könnt ich mich beißen.  

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