Mittwoch, 7. November 2018

Lineares Denken

Auf Facebook und in jedem anderen Medium, das Buchstaben verwendet liest du manchmal Sachen, bei denen du den Kopf gegen die Wand hauen könntest. Da schrieb eine Person, aus Gründen der Höflichkeit seien keine Namen genannt: "Ich bin auch gegen die Todesstrafe... es gibt allerdings eine Ausnahmen.. und das sind Pädophile... fass ein Kind an und du hast die Lebensberechtigung verwirkt!"
Warum nur, frage ich, warum ist dieses Brunzdumm-Tum nicht auszurotten? Mit Brunzdumm-Tum meine ich das lineare, das heißt folgerichtig in eine Richtung denkende Denken. "Ein Problem ist da, ich löse es, indem ich das Gegenteil tue, das heißt das Problem-Tun verbiete."
Ach!
Als seinerzeit - in den zwanziger Jahren - das Baby von Charles Lindbergh entführt und anschließend trotz Lösegeldzahlung tot aufgefunden wurde, verabschiedete der US-amerikanische Senat den sog. "Little-Lindbergh-Act". Künftig war danach Kidnapping mit der Höchststrafe, also der Todesstrafe bedroht.
Der naive Mensch denkt, damit wären künftig Kinder besser vor Entführung geschützt. Der lebenserfahrene Mensch dagegen wendet ein, daß dieses Gesetz eine Einladung an Kindes- oder überhaupt Entführer ist, ihr Opfer in jedem Fall zu töten. Da nämlich bereits durch die Entführung die Höchststrafe erreicht war, bestand künftig überhaupt kein Anreiz mehr, den Entführten am Leben zu lassen und damit die Gefahr der eigenen Entdeckung drastisch zu erhöhen. Den gleichen Effekt wirst du erzielen, wenn du Kindesmißbrauch mit der Höchststrafe bedrohst.
Brunzdumm-Tum, wie gesagt.
Es ist ganz ähnlich wie bei der Drogenpolitik. Drogen sind gefährlich, keine Frage, also besteht verantwortliches Handeln darin, Drogen zu verbieten, denkst du. Nach einer Weile ziehst du Bilanz und stellst fest, daß das mit dem Verbot so recht nicht funktioniert. Das liegt daran, denkst du, weil du nicht konsequent genug gegen den Drogenhandel vorgegangen bist. Du verschärfst die Gesetze, verstärkst die Polizei. Wenn du dann Bilanz ziehst stellst du fest, daß es immer noch nicht funktioniert. Das geht eine Weile so und schließlich mußt du beobachten, daß die Gefährlichkeit der Drogen durch das Verbot gestiegen ist.
Von Jaroslav Hašek - eh schon wissen, der Autor vom "Braven Soldaten Schwejk", ein Alkoholiker der Sonderklasse - gibt es die Geschichte "Eine Alkoholiker-Idylle". Ein Mann aus Prag pflegt jeden Abend zum Feierabend ein Glas Bier zu trinken. Seine Frau macht sich wegen dieser Regelmäßigkeit große Sorgen, sie fürchtet, ihr Mann könnte zum Alkoholiker werden oder wäre es vielleicht gar schon. (1) In einer Prager Tageszeitung findet sie die Anzeige eines nicht minder Prager Apothekers, in welcher dieser höchstprozentigen Alkohol als Heilmittel gegen die Abhängigkeit vom Bier anpreist. Sie kauft das Mittel und schüttet fortan ihrem ahnungslosen Manne einen gehörigen Schluck dieses Alkohols in das Bier. Der Mann verkommt, verkommt immer mehr und endet schließlich tragisch.
Du sagst, so einen Scheisendreck kann sich auch nur ein sarkastischer Alkoholiker wie eben Hašek ausdenken. Ich aber, wahrlich, wahrlich ich sage dir, 1898 brachte die Firma Bayer

das Wundermittel Heroin auf den Markt. Es wäre, so hieß es, unter anderem ein wirksames Medikament gegen die Opiumsucht. Dazu muß man wissen, daß Heroin konzentriertes Opium ist, sich also zu Opium verhält wie Schnaps zu Bier. So wirr im Hirn wie ein tschechischer Alkoholiker ist die Firma Bayer schon lange.
Als Heroin von der Firma Bayer auf den Markt gebracht worden ist, wurde es oral eingenommen und galt als probates Hustenmittel, auch und gerade für kleine und kleinste Kinder. Es wurde - übrigens erst 1931, also 10 Jahre (!) nach dem Verbot von Cannabis - schließlich verboten. Nun verschwindet eine Droge nicht einfach durch ein Verbot, das lehrt uns die Lebenserfahrung. Solange es Bedarf danach gibt, wird die Droge weiter gehandelt, nach einem Verbot halt auf dem Schwarzmarkt. Die Preise steigen dadurch, und zwar drastisch, denn der Handelsmann zahlt nun zwar keine Steuern mehr, aber er muß das Risiko von Entdeckung und Sanktion kalkulieren. Wie reagiert der Konsument auf die Preissteigerung? Er wird versuchen, mit einer kleineren Menge des so kostbar gewordenen Stoffs mindestens die gleiche Wirkung zu erzielen, klar. Er zerbröselt die Tabletten und schnieft das Heroin durch die Nase. Ein anderer kommt auf die Idee, den Wirkstoff aufzulösen und ihn sich direkt in die Vene zu injizieren, nochmalige Potenzierung der Wirkung. Ah, jetzt ist das Heroin wirklich gefährlich geworden, ein weiterer Grund, die Drogengesetze zu verschärfen.
Durch das Verbot hat keine Aufsichtsbehörde mehr die Möglichkeit, die Qualität des in den Handel gelangenden Stoffes zu kontrollieren, als Junkie kannst du nur noch beten, daß dich der eben erworbene Stoff nicht umbringt. Damit du dich als Junkie über die Runden bringst (das Zeug ist inzwischen schweineteuer geworden), mußt du einbrechen, rauben, Apotheken überfallen oder dich prostituieren - Beschaffungskriminalität. Du rutscht nahezu zwangsläufig in das gesundheitliche und soziale Elend. Der Zugang zu Spritzen wird erschwert, du teilst dir die Kostbarkeit mit anderen Drogenkonsumenten, infizierst dich und krepierst. Die Droge selbst spielt dabei eine untergeordnete Rolle, viel gefährlicher als die Droge ist das Betäubungsmittelgesetz.
Du kennst die Sherlock-Holmes-Geschichten, in denen sich der Meisterdetektiv Kokain spritzt, das er zuvor ganz legal erworben hatte? Opium und alle seine Derivate waren bis vor über 100 Jahren noch ganz legal zu erwerben. Der Lehrer Lämpel aus den Wilhelm-Busch-Geschichten hat am Ofen behaglich seinen Knaster geraucht. Knaster hieß der Pfeifentabak deshalb, weil er mit Cannabis-Samen versetzt war, die immer dann ein knasterndes Geräusch erzeugten, wenn sie von der Flamme erreicht wurden. Zu Hegels Zeiten war der Schnupftabak mit Cannabis versetzt (High durch Schmai!). Hegel konsumierte reichlich davon, wodurch sich zwanglos seine... ich sag mal: merkwürdige Philosophie erklären läßt. Das Christliche Abendland hat viele Jahrhunderte lang mit den allermerkwürdigsten Drogen gelebt, ohne dran unterzugehen. Anfang der zwanziger Jahre kamen dann fast gleichzeitig in den westlichen Ländern die Betäubungsmittelgesetze. Und mit den Betäubungsmittelgesetzen kam der Wahnsinn. Die vordem legalen und also wohlfeilen Drogen wurden mit einem Mal schwer erhältlich und also teuer. ZU teuer für einen Normalverdiener. Was muß er also machen? Er MUSS kriminelle Handlungen begehen, um an das Zeug zu kommen. Er/sie muß sich prostituieren. Der begehrte Stoff ist nur noch schwarz zu haben, keinerlei Qualitätskontrollen mehr. Der Zugang zu Spritzen wird erschwert, du teilst dir die Kostbarkeit mit anderen Drogenkonsumenten, infizierst dich und krepierst.
Die Drogentoten verrecken zum geringeren Teil an der Droge, sie sterben vor allem am Betäubungsmittelgesetz. Das Betäubungsmittelgesetz ist das Problem, dessen Lösung zu sein es vorgibt.
Ein wohlmeinender Irrer meinte einst, da die Gesellschaft unter Drogen leide, müsse 1 Grenze gezogen werden.
"Und du hast den Eindruck, daß diese Grenze auch nur einigermaßen dicht ist?" antwortete ich ihm. "Was für ein Kraut rauchst du? Seit vielen Jahrzehnten werden in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen die Drogengesetze verschärft - und es wird nichts, überhaubenz nix besser. Die ganze Verbieterei bewirkt nichts, gar nichts."
Der austro-amerikanische Psychologe Paul Watzlawick hat mal das unglückbringende Gesetz "Mehr desselben" formuliert. Du hast ein Problem, die Lösung scheint dir plausibel. Nach einiger Zeit merkst du, daß die Lösung das Problem nicht löst, sondern eher noch verschärft. Ist klar, deine Lösung ist nicht radikal genug, als mußt du die Lösung verschärfen. Irgendwann stellst du fest, daß auch das nicht zu einer Verbesserung führt, also verschärfst du neuerlich...
Auf die Idee, daß die Lösung von Grund auf ein Schmarrn ist, kommst du in deiner Einfalt nicht.
Was wäre eventuell eine Lösung? Ich bin auch nicht dafür, Heroin in Kaugummi-Automaten zu verkaufen. Aber... stell dir mal vor, du bist Pusher und hast endlich die Hilde so angefixt, daß sie dein Zeug kaufen muß. Toll. Jetzt aber geht die Hilde zum Gesundheitsamt, läßt sich dort als Heroinabhängige registrieren und holt sich jeden Tag in der nächstgelegenen Apotheke ihre Dosis Heroin ab, und das zu einem derart günstigen Preis, daß du als illegaler Dealer niemals mithalten kannst.
Wenn ich der capo di tutti i capi der Drogenmafia wäre, würde ich Politiker, welche die Freigabe von Drogen (mit Aussicht auf Erfolg) fordern, erschießen lassen. Stell dir nur mal vor, ein ganz wesentlicher Geschäftszweig der Mafia würde wegbrechen, weil der Apotheker an der Ecke den Job übernimmt...
Die Alkohol-Prohibition in den USA hat uns gelehrt, daß dadurch die Mafia so richtig fett geworden ist. Ein weiterer Effekt war, daß durch die Prohibition der biedere Normalbürger auf die Herren von der Organisierten Kriminalität angewiesen war, wenn er zur Hochzeit seiner Tochter ein bisserl Sekt haben wollte. Der biedere Normalbürger hat also in den zehn Jahren des Alkoholverbots gelernt, die Mafia als sinnvolle Institution nicht nur zu akzeptieren, sondern auch wertzuschätzen.
Und drittens, und das ist wirklich grauslig, ist der normale Bier- oder Weintrinker auf Schnaps umgestiegen, denn bei Schnaps ist das Volumen einer bestimmten Alkoholmenge deutlich geringer als bei Bier oder Wein, also leichter zu schmuggeln. Und in der Tat war nach der Prohibition die Anzahl der Alkoholiker in den Vereinigten Staaten erheblich höher als zuvor.
Leute, das kommt von diesem gottverfluchten linearen Denken. "Ich habe ein Problem, ich habe eine Lösung und fertig. Daß jede Lösung ein neues Problem erzeugt, halte ich für marxistische Propaganda."
Ein anderes Beispiel für die Unfähigkeit vernetzt zu denken: Hast du schon mal irgendwas davon gehört, daß ein Wissenschaftler mögliche Klimaveränderungen durch Windkraftwerke durchgerechnet hat? Du lachst jetzt und frägst, was denn um Gottes Willen Windkraftwerke am Klima verändern können. Na, die paar, die es bis jetzt gibt, werden nichts Großartiges bewirken, schon klar. Aber stell dir mal vor, was sein wird, wenn es sehr, sehr viele von diesen Dingern gibt: Sie fangen den Wind ab und verwandeln seine Kraft in elektrische Energie. Logischerweise müssen hinter den Windkraftwerken andere Windverhältnisse sein als es ohne diese Flügel gewesen wären.
Ich weiß nicht, welche Auswirkungen diese großräumigen Strömungsveränderungen der Atmosphäre auf das Klima haben werden, ob günstig oder verheerend, aber es müssen Veränderungen entstehen, es kann gar nicht anders sein.
Macht sich einer darüber Gedanken? Jetzt, wo man noch relativ einfach das Problem lösen könnte, ehe es wirklich entsteht, indem man etwa die Verteilung der Windmühlen so gestaltet, daß die Veränderung minimiert wird?
Es fehlt an der Phantasie.


(1) Witzigerweise befindet sie sich damit mit gar nicht wenigen schlauen Medizinern und Psychologen im gleichen Boot. Diese schlauen Mediziner und Psychologen - man könnte auch sagen: Narren - belegen jeden, der täglich Alkohol (wie wenig auch immer) konsumiert mit dem Bannfluch "alkoholabhängig". Wenn eines Tages deine Tochter kommt und dir sagt, sie habe einen Psychologen kennengelernt und wolle ihn heiraten, so verstoße sie.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen