Mittwoch, 24. Oktober 2018

Wie ich einmal doch nicht Jurist geworden bin

Eines Tages kam der Berufsberater vom Arbeitsamt [1] ins Gumminasium [2] Pfarrkirchen, uns, die wir vor dem Abitur standen, arbeitszuberaten. Der Berater schlug meine Akte auf und meinte, ich müßte unbedingt Jurist werden. Jurist war nun das letzte, was mir zuvor je in den Sinn gekommen war. Straßenkehrer vielleicht, aber Jurist?
Der Berater meinte, in mir vereinigten sich ein brillanter logischer Verstand (na ja, eine 2 in Mathe ist so berauschend auch wieder nicht) und eine enorme rhetorische Begabung (eine 2 in Deutsch, das ist Standard, keine Begabung). Ich als Rächzanwalt - die Staazanwälte würden sich vor Schreck bekreuzigen, hörten sie nur meinen Namen.
Ich mein, als junger Mensch hört man dergleichen Komplimente gerne, aber so verrückt war ich selbst damals nicht, daß ich mich für Jura eingeschrieben  hätte. Es war vielleicht ein Fehler. Als Rechtsanwalt hätte ich zum Rächer der Enterbten werden können.
Andererseits hätte ich womöglich aus Versehen ein Einser-Examen gemacht, wäre in den Staatsdienst aufgenommen worden, Staatsanwalt, später Richter geworden. Dann wäre ich das gewesen, was ich nie - mals sein wollte: Einer, der andere be- und aburteilt.
Ich aber war schlau, ich hab ein bisserl Physik und dann richtig ernsthaft Psychologie studiert. Also mit Diplom, mit Jodeldiplom, damit ich was  habe, wenn die Kinder, die ich damals noch gar nicht hatte, aus dem Haus sind.
Was macht das Schicksal mit mir, die Matz? Das Schicksal, die Matz macht mich arbeitslos und so verzweifelt, daß ich nach jedem Strohhalm greife. Der Strohhalm war eine freiberufliche Tätigkeit [3] als MPU-Gutachter. Als MPU-Gutachter mußt du Leute, die sich um die Führerscheinwiedererteilung bemühen, beurteilen. Kriegen die ihren Führerschein wieder oder eher lieber doch nicht?
Das heißt, du kommst in dieselbe anmaßende Situation wie ein Richter, du urteilst über andere Leute, mit schwerwiegenden Folgen für diese. Genau das, was du nie - mals machen wolltest.
Kann das sein, daß der Liebe Gott sich über uns lustig macht? Wann immer wir uns auf einen Tee treffen, streitet er dies zwar ab, aber ich glaub's ihm nicht. Nach dem vierten doppelten Cognac beschimpfe ich ihn auf's Wüsteste, er aber verträgt Alkohol, das glaubst du nicht, und lächelt nur milde.


[1]   So nannte man das damals noch.
[2]   Alle Bäume gehen in die Baumschule, nur die Gummibäume dürfen auf's Gumminasium.
[3]   Zu einer richtigen Festanstellung habe ich es zeitlebens nicht gebracht.

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