Samstag, 13. Dezember 2014

Warum die Pflanzen nicht sprechen können

Von den Flanzen sollst du deine Hände lanzen.

Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Das alleine wäre auf Dauer langweilig gewesen, so daß er in den folgenden Tagen jeweils einen draufsetzte, was zur Schaffung von Tag und Nacht, Land und Meer, Pflanzen und Tieren, Adam und Eva führte.
Gott besah sich das Geschaffene und er sah, daß es gut war.
Es war eine still verträgliche Welt, die Gott da erschaffen hatte. Man lebte friedlich mit- und nebeneinander, keiner fraß den Anderen auf.
"Ja, hier läßt es sich wohlsein", sagte die eng an einen Löwen gekuschelte Gazelle. "Doch, nicht schlecht hier", stimmte der Löwe zu, genüßlich an einer Banane kauend.
"Hm, recht ordentlich", brummte auch Adam zufrieden. "Besser kann's nirgends sein."
"Ob das nicht ein bißchen vorlaut ist?" meinte Eva spitz. "Wo du doch keine Ahnung hast, wie's anderswo aussieht?"
Sie hatte noch eine weitere Bemerkung auf der Zunge, aber ein flammender Blick Gottes brachte sie zum Schweigen.
Gott nämlich, der eben in lächerlichen sechs Tagen einen ganzen Kos­mos aus dem Nichts erschaffen hatte, verspürte keine Lust, sich die Nörgeleien einer Menschin anzuhören, die nichts geleistet hatte, außer Löwen zu kraulen, Bananen zu essen und sich die Sonne auf den Pelz scheinen zu lassen. Gott aber war mit sich und seiner Schöpfung im Reinen und ruhte erst mal ein Weilchen.

Bis die Pflanzen zu meckern anfingen.
Es könne wohl nicht angehen, meinten sie, von einer friedlichen, paradiesischen Welt zu sprechen, solange in diesem sogenannten "Pa­radies" friedlich in den Tag hineinwachsende Pflanzen Stunde um Stunde von irgendwelchen Tieren belästigt und letztlich gefressen würden.
"Wir Bananenstauden zum Beispiel", mäkelte ein ganz besonders großes Exemplar, "mühen uns Monat um Monat, zu wachsen und uns fortzupflanzen. Kaum aber sind unsere Kinder herangewachsen, kommen die Affen, die Elefanten und die Löwen, pflücken sich die reifen Früchte von der Staude und verschlingen sie. Roh und gnadenlos. Wenn das 'friedliches Zusammenleben der Lebewesen' sein soll, will ich gar nicht wissen, was Krieg heißt."
Erdnußstauden, Apfelbäume und Gräser stimmten in die Klagen ein. Vor allem die Gräser beklagten sich darüber, daß sie von Rindern und Tigern nicht nur gefressen würden, sondern daß ein Großteil von ihnen durch rücksichtsloses Drauftrampeln zuschanden werde.
Das alles geschehe nach seinem - Gottes - Willen, ja? Und nenne sich "paradiesische Behaglichkeit"? Ha! Darüber könne man nur lachen, meinten die Pflanzen, lachten aber nicht, sondern raschelten wütend mit ihren Blättern.
"Die Pflanzen haben, scheint mir, recht", meinte Eva und warf die halbe Banane, an der sie eben noch gekaut hatte, unauffällig in einen empört aufschreienden Busch.
"Na ja", sagte ein mehr oder weniger zufällig in der Nähe herumstehender Elefant, nachdem er Evas halbe Banane unzerkaut verschlungen hatte, "aber irgendwas müssen wir Tiere doch fressen."
Gott, der es in diesem Moment bitter bereute, daß er die Menschen nach seinem Bild und Gleichnisse erschaffen hatte und nicht die Elefanten, nickte dem Riesentier dankbar zu.
"Macht es doch wie wir", piepste ein Grashalm, der unmittelbar vor dem linken Hinterfuß des Elefanten aus der Erde wuchs. "Baut euch die Nährstoffe selber aus Wassser, Erde und Sonnenlicht auf. Das funktioniert ganz präch..."
Weiter kam der Grashalm nicht, denn der Elefant war vor Aufregung über soviel Schwachsinn einen kleinen Schritt nach vorne getrippelt. "Aber dann wären wir ja keine Tiere mehr, sondern ebenfalls Pflanzen. Das muß man doch einsehen."
"Das heißt aber dann doch nichts anderes", mischte sich nun auch Adam in die Diskussion ein, "als daß das Konzept des friedlichen, gewaltfreien Paradieses einen gigantischen Denkfehler enthält."
"Gigantischer Denkfehler?" fragte Gott nach.
"Aber sicher", meinte Adam frohgemut, dem in seiner scharfsinnigen Einfalt der drohende Unterton in der Stimme Gottes entgangen war. "Bereits die Erschaffung des einfachsten Tieres brachte das Element der Gewalttat, des Verschlingenmüssens um des Lebenkönnens willen in die Schöpfung hinein. Was wir hier haben ist demnach kein wirkliches Paradies, sondern ein sogenanntes solches."
"Damit aus dem sogenannten 'Paradies' ein wirkliches wird", grollte Gott, "bestünde demnach theoretisch der erste Schritt darin, dich - Adam - wieder draus zu entfernen."
"Öhm, ja", schluckte Adam schwer, "theoretisch. Aber theoretisch ist natürlich andererseits ein Paradies, das erst durch eine Gewalttat, nämlich die Vernichtung des Menschen, zum vollkommenen Paradies wird, auch kein wirkliches mehr, sondern nur noch ein sogenann..."
"Ihr redet euch leicht!" riefen da vier Palmen im Chor. "Rein theoretisch! Während unsere Kinder weiterhin ungestraft von affenartigen Monstern gefressen werden."
"Also mir reicht das Palaver allmählich", brummte Gott, und seine Stirn umwölkte sich gefährlich. "Ich habe keine Lust, mir das Geschwätz weiter anzuhören."
"Ach, nein? Der Herr haben keine Lust?" brüllten die Palmen, jetzt wirklich saugrantig, weiter.
"Nein, hat er nicht!" schrie Gott mit schriller, überschnappender Stimme zurück.
"Der Herr machen es sich leicht!"
"Macht er sich", entgegnete Gott schnippisch. Dann machte er mit Ringfinger und Daumen der rechten Hand ein schnalzendes Geräusch und die Palmen, die grade zu einer neuen Tirade angesetzt hatten, waren mit einem Male still. Die Gräser hörten auf zu piepsen, die Bananenstauden mäkelten nicht mehr, Apfelbäume und Erdnußstauden klagten nicht länger.
Einzig das Rauschen der Blätter im Winde ist seither noch von den Pflanzen zu hören. Ab und zu jedoch lassen lassen sie, zum Zeichen ihres Protestes, eine Kokosnuß, einen Apfel oder eine Erdbeere vernehmlich zur Erde plumpsen. Wobei sich das Plumpsen bei den Erdbeeren allerdings eher in Grenzen hält.

Donnerstag, 11. Dezember 2014

Ob Schlauheit dumm macht?

Ich bin so informiert, daß ich nichts mehr verstehe 

Ein Bild - heißt es - sagt mehr als tausend Worte, und so ist die Möglichkeit zur Bebilderung eine feine Sache, die das Fernsehen dem Radio voraus hat. Die Kehrseite dieser Möglichkeit ist der Zwang zur Bebilderung. Das Fernsehen kann nicht einfach Schwarzfilm zeigen  (1) in jenen Fällen, da das einzig Interessante die Tonspur ist.
Dann aber berichtet ein Reporter über einen leckgeschlagenen Tanker, der eine ganze Küstenregion verseucht hat. Die Stimme aus dem Off erklärt dir, wie es zu dem Unfall kam und eigentlich willst du vor allem das wissen. Zum Text aber siehst du ölverschmierte Wasservögel, die sich mühsam in den nahen Tod dahinschleppen. Das fördert deine Konzentration auf den teilweise abstrakten Text nicht.
Noch schlimmer ist es, wenn dir der Korrespondent die unheimlich komplizierte politische und militärische Lage im Bürgerkrieg in Weithintistan erklärt. Die Erklärung ist notgedrungen äußerst knapp und gedrängt, denn mehr als ein bis drei Minuten hat er in der "Tagesschau" nicht zur Verfügung. Während er spricht und du eigentlich voll drauf konzentriert sein müßtest, siehst du gleichzeitig Leute, die um ihr Leben rennen, davon einige vergeblich.
Wenn schon Bilder unvermeidlich sind, dann solltest du eigentlich bloß den Korrespondenten sehen, der vor einem neutralen Hintergrund steht oder im Studio sitzt. Aber er hat, wie gesagt, nur ein bis drei Minuten, also muß er dir sein - interessantes, das zweifellos - Bildmaterial gleichzeitig zu seiner Analyse übermitteln. Und wenn du diesen Bericht in einem privaten Nachrichtensender siehst (was niemand, der noch einen Funken Verstand im Hirn hat, tun sollte), dann läuft unter dem konzentrationsstörenden Kontrast zwischen Bild und Ton noch ein Text über den Bildschirm, der sich mit einem völlig anderen Thema befaßt. Und, als wäre dies noch nicht genug, laufen unter dem Nachrichtentextband noch die Börsenkurse durchs Bild. Selbst wenn du es schaffst, nicht bewußt auf diese Laufbänder zu achten, so stört allein die aus den Augenwinkeln wahrgenommene Bewegung zusätzlich die Konzentration.
Wenn das nicht Wahnsinn ist, was dann?
Hier wird informiert und gleichzeitig die eigene Information sabotiert.

In historische Dokumentationen, die ich früher sehr gerne gesehen habe, haben sie inzwischen genau dieselbe Pest eingeschleppt wie in die Nachrichten. Vor einiger Zeit habe ich eine Sendung über die Schlacht von Waterloo gesehen (ich glaube, es war sogar ein öffentlich-rechtlicher Sender, denn Privatsender schaue ich seit geraumer Zeit so gut wie nicht mehr, nicht länger jedenfalls, als ein Furz dauert).
Während der Sprecher aus dem Off die historische Situation schildert und analysiert siehst du Bilder, die anscheinend aus einem Spielfilm stammen, darüber Musik. Du siehst Wellington am Spieltisch hocken, Napoleon wütend die Treppe hochlaufen und dann wieder - immer noch wütend - die Treppe runterlaufen, dann hebt ein Soldat das Gewehr und zielt genau in deine Richtung, dann wieder Schlachtengetümmel...
So wirst du unter dem Vorwand von Aufklärung blöd gemacht, kannst dich auf nichts mehr richtig konzentrieren und hast das meiste gleich nach dem Ausschalten schon wieder vergessen. Psychologische Untersuchungen bestätigen dies übrigens: Je mehr Information pro Zeiteinheit und über verschiedene Kanäle vermittelt wird, desto weniger bleibt hängen. Da lob ich mir den Rundfunk, da nehme ich mir eine Sendung zu einem Thema auf und höre sie mir dann beim Abspülen an oder bei sonst einer Tätigkeit, die mein Hirn frei läßt.
Dabei können Bilder, gezielt eingesetzt, so viel vermitteln. Dazu müßte man aber, während das Bild da ist, zwischenzeitlich auch mal das Maul halten oder das Bild so wählen, daß es genau zum Text paßt.
Sage keiner, das ginge nicht. Es gab mal im Bayerischen Rundfunk diese wunderbare Reihe "Topographie" von Dieter Wieland (sie wird auf BR alpha immer mal wieder wiederholt). Es geht dabei um Südtiroler Urwege, Stadtbaukunst im Mittelalter, erklärt anhand von Dinkelsbühl, die barocken Kanäle in und um München, die Burg von Burghausen... Informationen also, die ich brauche, um die Welt von früher und jene von heute und morgen zu verstehen. Das meine ich nicht sarkastisch, sondern durchaus ernst.
Dieter Wieland versteht was vom Thema, er macht nur Filme über Dinge, von denen er etwas versteht und wenn er es nicht versteht, macht er sich zuvor sorgfältig und gründlich kundig. Er spricht langsam (wenn auch nicht langweilig) und bedächtig, er gibt dir Zeit, während des Zuhörens über das Gehörte nachzudenken, ein ungeheurer Luxus und Komfort in diesen Zeiten. Die Bilder, die er über das Gesagte legt, passen genau zu dem, was er grad sagt, die Bilder sind ruhig, es gibt keine schnellen Schwenks oder Zooms, die Einstellungen sind lang, so daß du tatsächlich sehen kannst, was du siehst und nicht mit vorbeihuschenden Impressionen überschwemmt wirst. Wenn du den Film gesehen hast, bist du schlauer als zuvor, man stelle sich vor.

Bemerkenswert, wirklich sehr bemerkenswert ist, daß bei der Sportberichterstattung die von mir geschilderte Wirrnis so gut wie nie auftaucht. Da passen Bild und Kommentar genau zusammen, da laufen während des Berichts über ein Fußballspiel keine Nachrichten über den Abfahrtslauf durchs Bild, darunter noch der neueste Tabellenstand in der Handballbundesliga. Die größte Ablenkung ist noch, wenn während des Interviews mit einem Trainer nach dem Spiel Fans ihren Kopf ins Bild stecken und winken.
Kann das Zufall sein, frage ich mich? - Ganz ernsthaft: Ist womöglich die manchmal irrsinnige Reizüberflutung bei der Berichterstattung über den Zustand unserer Welt Absicht? Kein Unvermögen? Will man - indem man vorgeblich Information satt bringt - die Information bewußt verweigern?


(1)       Warum eigentlich nicht?