Montag, 15. Oktober 2012

Straßenräuber in Bari

Eine touristische Empfehlung

Vor Jahren waren wir einmal in Bari, meine Frau wollte sich unbedingt die Altstadt ansehen, ich riet dringend davon ab, denn im Reiseführer stand, daß die Altstadt von Bari von scippatori nur so wimmele. Diese scippatori grapschen dir in Windeseile Handtasche, Photoapparat etc. und sind im Gassengewirr verschwunden, noch ehe du reagieren kannst.
Meine Frau aber war optimistisch und also... Wer kann sich schon wirklich gegen Frauen, optimistische Frauen gar, durchsetzen?
Wir waren noch keine hundert Meter weit gekommen, als zwei Halbwüchsige von vorne kamen, ein dritter von hinten, unauffällig an der Wand entlang. Meine Frau hatte in ihrer Umhängetasche das ganze Geld, so daß ich meine Aufmerksamkeit drauf konzentrierte. Und watsch und noch ehe ich reagieren konnte, war der Typ von hinten auf mich zugerannt, hatte mir die hintere Hosentasche, wo mein Geldbeutel steckte, aufgerissen und war mit der Geldbörse, samt meinen sämtlichen Papieren auf und davon in der nächsten Seitengasse verschwunden.
Da stand ich nun, ein Hosenbein von der Arschbacke bis zu den Knöcheln aufgerissen und ohne Börse. Die Hose war früher mal eine sogenannte "gute Hose" gewesen, Teil eines grauen Sommeranzugs, war inzwischen nur noch auf den ganz ersten Blick als gute Hose erkennbar, ansonsten eher verschmuddelt und mit kleinen Brandflecken von Zigaretten versehen. So gesehen war der Schaden nicht groß, Geld war auch keins weg, außer vielleicht ein paar Mark in deutschen Münzen.
Aber die Ausweise!!! Das ganze Geschiß, die wiederzubekommen!!!
Verdattert, unfähig, uns zu bewegen, standen wir da, überlegten, ob es Sinn hätte, den Überfall anzuzeigen oder nicht. Wir waren noch zu keinem Ergebnis gekommen (wenn auch die Tendenz eher zu "nein" neigte), als einer der Räuber, vielleicht 15, 16 Jahre alt, aus der Seitengasse zurückkam, auf mich zuging und mir die Geldbörse mit einem "scusi" und einigen Sätzen, die ich mit meinen damaligen Italienischkenntnissen nicht verstand, zurückgab.
Sakra!
Die Geldbörse erwies sich beim Prüfen als intakt, nichts fehlte.
Ich kann die Straßenräuber von Bari jedermann nur wärmstens empfehlen. (1)

Als wir dann - ich hatte mir inzwischen am Bahnhof (der einzige Laden, der in der Siesta geöffnet hatte) eine andere Hose gekauft -  erneut an den Rand der Altstadt (diesen Rand nun nicht mehr überschreitend) zurückkehrten, sahen wir am Hafen eine Gruppe von Touristen, die sich auf einen Besuch der Altstadt vorbereitete. Begleitet wurden diese Touristen von vier schwerbewaffneten Carabinieri, zwei vorne, zwei hinten.
Ja, Bari liegt an der Schnittstelle von Erster und Dritter Welt, die beiden Welten sind nur eine Straßenbreite voneinander entfernt.

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(1) Als 1938 die Nazis Österreich besetzten, war es für Sigmund Freud an der Zeit, aus Österreich zu verschwinden und nach London zu gehen. Die Nazis hatten keinerlei Interesse daran, sich an einem derart prominenten Juden zu vergehen, sie ließen ihn ziehen. Damit nichts an ihnen hängenbliebe zwang die SS Freud, einen Revers zu unterschreiben, in welchem er bestätigen sollte, daß ihm keinerlei Leids geschehen sei. Freud tat das, fügte aber handschriftlich dazu: "Ich kann die SS jedermann nur wärmstens empfehlen."
Damit will ich die Straßenräuber von Bari nicht mit der SS vergleichen, du lieber Heiland! Ich will nur klar machen, daß die sprachliche Pointe nicht von mir ist.
Unser Dilemma war vielmehr, daß wir zwar einerseits über den Überfall verärgert waren (nachvollziehbarerweise, hoffe ich doch), andererseits aber (ich trau's mir kaum zu sagen) mit den Räubern sympathisierten. Hmnja, an deren Stelle hätten wir genauso gehandelt.
Wenn dir ein beschissenes System keine Chance läßt, "die Hütte deines Glücks auf dieser Erde zu erbauen" (H. Heine), dann mußt du entweder verzweifeln - oder rabiat werden.
Wer immer auf Hartz IV gesetzt ist oder fürchtet, dereinst auf Hartz IV gesetzt zu werden, verneige sich in Ehrfurcht vor süditalienischen Straßenräubern. Die trauen sich wenigstens was.
Und sie sind von nobler Gesinnung. Würde unsere Gesellschaft von süditalienischen Straßenräubern regiert und beherrscht, statt von dem Gesindel, das es tatsächlich tut, wir könnten aufatmen.

Manchmal wünsche ich mir, der Junge, der mir damals die Hose aufgerissen und später die Geldbörse zurückgebracht hat, hätte - wider jede Erwartung - den Sprung geschafft. Er wäre irgendwann nach Deutschland ausgewandert, hätte hier Deutsch gelernt und würde nun meinen Artikel lesen können.

2 Kommentare:

  1. "mit einem "scusi"

    Gut erzogen, der junge Mann. Soviel Höflicheit mag man von der heutigen Jugend gar nicht mehr erwarten. Die würd's allerhöchstenfalls das Portemonnaie mit einem :( zurückgeben.

    Gruß, hd.

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    1. @hardob
      Gut erzogen, der junge Mann. Soviel Höflicheit mag man von der heutigen Jugend gar nicht mehr erwarten.

      Mit der heutigen Jugend ist nicht mehr viel los, hat schon der Opa vom Homer gesagt.

      Ciao
      Wolfram

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