Aus gegebenem Anlaß ein Griff in mein Archiv
Der
folgende Text ist so ganz rasend aktuell nicht mehr, er entstand in den frühen
achtziger Jahren. Das Phänomen der rasenden Dichter hatte sich zwischenzeitlich
wieder gelegt, inzwischen aber sieht es so aus, als würde diese Art der
Poeterey wieder in Mode kommen.
Die rasenden
Dichter
Vom olympischen Geist in der Poesie
Als Ende 1973 ein
Komet zur Erde zu stürzen drohte, wurde diese tödliche Gefahr namens "Kohoutek"
mit durchaus angenehmem Gruseln zur Kenntnis genommen. Wenige Wochen nach
Entdeckung der Bedrohung und lange vor der verschämt gegebenen Entwarnung (es
war alles nur ein Meß- und/oder Rechenfehler gewesen) war das zu erwartende
Ereignis bereits zu Literatur verwurstet. H. G. Konsalik, Meister aller
Klassen, hatte in wenigen Wochen zwei Buchdeckel namens "Ein Komet fällt
vom Himmel" mit vollmundiger Roman-Masse gefüllt.
So weit, so Konsalik.
Insoweit unvermeidlich.
Wenige Tage nach des
Genschers Wende veröffentlichte die "taz" ein "Gedicht für
Genscher" von Erich Fried, enthaltend unter anderem folgende
Zeilen:
Gescheit
Gescheiter
Gescheitert
Nun gut. Wem auch
fällt schon in kurzer, drängender Frist was wirklich Gutes ein? Und
"einmal" ist schließlich "keinmal", wie uns tröstend
verheißen ist vom Volksmund.
Denkste!
Who wants yesterday poems...?
Kurze Zeit später
schon belehrt der "stern" Hoffende grausam:
Zwei Tage nach dem Massenmord in den
palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila hat der in England
lebende deutsche Schriftsteller Erich FRIED ein Gedicht verfaßt, das der 1938
aus Wien emigrierte jüdische Lyriker in einer Neuausgabe seines Gedichtbandes
'Höre Israel' veröffentlichen wird. Auszug:
Israelische Truppen nahmen - so
sagten sie -
Nicht Teil an diesen Massakern, sondern sahen
nur teilnahmslos zu
Vom Rande der Lager
Die sie zuvor den befreundeten Truppen Haddads
Überlassen hatten zur Wiederherstellung der
Ordnung
Der Ordnung, die sie dann zum Teil wieder
herstellen halfen
Mit ihren Bulldozern, die einen Teil der Toten
versteckten.
Um solcherart
hingeschlunzte Leitartikel-Lyrik scheint es ähnlich bestellt zu sein wie um das
Fixen. Einmal fängst Du an, hast Alles im Griff und bist versackt, eh' der Hahn
dreimal des Morgens kräht. Und mußt es wieder tun, kannst nimmermehr lassen vom
süßen Gift.
Noch'n Gedicht - und noch'n Dichter
Und das greift um
sich, diese Dalli-Dalli-Poesie des Düsenzeitalters. Das wuchert durch alle
Ebenen literarischer Prominenz; es muß dem Harald Grill nur billig
erscheinen, was dem Erich Fried so offensichtlich recht ist.
Da erschien in der
Regensburger "WOCHE" ein Artikel über die Markierung Regensburger
Kulturdenkmäler durch blau-weiße Wapperl, damit sie im Kriegsfall nicht
voreilig zerstört würden. Und die "WOCHE" drauf der lyrische
Kommentar des hiesigen Mobilen-Einsatz-Poeten, u. a. mit diesen unsterblichen
Worten:
Auch wenn's
ein Witz ist ein trauriger,
dem Fremdenverkehr tut sowas
gut;
ein Scherz am Rande, denn
was zählt schon der Mensch,
wenn nicht sein Geld?
Verse wie diese...
Verse? Nein! Keinen Streit um Worte jetzt
Nennen
wir dies gelassen
"Verse",
dem
Brauche folgend, daß
Jeder Text
- jeglicher -
Welcher die Gänze
der
Zeile nicht nützen
mag, vielmehr
Die Einheit des
Satzes
Zerschnippelt und
Alsdann neu und
Gefällig
Zufällig fügt,
In dringendem
Verdacht steht, ein
Vers
Zu sein.
Verse also, wie die
zitierten, haben die handwerkliche Geschliffenheit einer ersten, flüchtigen
Notiz, die poetische Kraft und den Metaphernreichtum eines zwischen Scheißen
und Händewaschen diktierten Kommentars.
Warten auf den satten Strahl
Warum machen die das,
der Fried und der Grill, Harald und Erich? Warum belassen sie es
nicht bei einem ordinären Leserbrief, wie's unsereiner macht, wenn schnell was
weg muß von der Seele? Warum setzen sie ihren Ruf - der bei beiden ein wirklich
guter Ruf ist - so locker und leicht auf's Spiel? Braucht man Geld?
Publicity? Oder gehorcht der poetische Schließmuskel nicht mehr? Muß man
tröpfchenweise ausscheiden, was immer auch kommt, statt gelassen Material zu
sammeln für den wirklich großen, satten Strahl?
höre fried und du
horch auch zu
grill
strebt nicht
nach dem lorbeer ein
konsalik der lyrik
zu heißen
lüstet nicht
nach vollständigkeit den
großteil
täglicher nachrichten laßt
unbedichtet
laßt ab
vom olympischen ehrgeiz
der schnellste zu
sein
Macht halt kein'n Scheiß!
denn sehet wenn
ihr nicht einhalt gebietet dem blinden
kurz-und-klein-dichten
so werdet ihr
dereinst mit pelle igel verglichen
werden wann immer
von wegwerf-lyrik die rede
ist an den lagerfeuern
germanistiens
Was hör' ich? Ihr
kennt Pelle Igeln nicht? Den berüchtigten Arbeiterdichter aus der
DKP-Presse? Den kennt ihr nicht?
JETZT WIRD DER
STAUHAKEN MAL IN RUHE GESETZT
Da habt ihr streiken wollen,
weil die Bosse nicht mehr zahlen sollen.
Wie könnt ihr denn so übermütig sein!
Da langt ihr ja direkt in deren Gelder rein,
die die Bosse nicht gern rausgeben
und behalten wollen für ihr armes Leben,
das bescheidene Leben der Aktionäre.
Überleg dir's bei deiner 'Nie-gestreikt-haben-Ehre!'
Wo doch die Ausgaben....
Aufhör'n soll ich? Ihn
weiter zu kennen begehrt Ihr nicht?
Auch gut.