Freitag, 30. September 2011

Love Story

Neulich habe ich einen Leitenden Angestellten eines großen Buchverlags mit angeschlossener Filmproduktion besucht. "He, Leitender Angestellter", sagte ich, "ich hab da eine wahnsinnig gute Idee für einen Roman oder ein Drehbuch."
"Aha", sagte der Leitende Angestellte, "erzählen Sie mal."

Einem lebensweisen Menschen ist klar, daß mein Besuch in diesem Verlag eine erfundene Geschichte sein muß. Kein Leiter oder auch nur Halbleiter eines Medienunternehmens wird einem Unbekannten, der vorgibt, eine gute Idee zu haben, zum Weitersprechen ermuntern. Jeder Angestellte eines Medienunternehmens träumt zwar davon, einmal im Leben ein neues Genie zu entdecken, aber niemand will das wirklich. Genie-Entdecken ist wie Goldsand-Sieben, die Mühe macht sich keiner mehr, der einen festen Arbeitsvertrag hat.

Wie auch immer: Ich trage also dem erfundenen Leitenden Angestellten meine Idee vor:
"Die Geschichte handelt von einer Nonne", sage ich und sehe, wie der Leitende Angestellte im Stuhl zusammensackt. "Diese Nonne verliebt sich in einen Arzt, wird seine Geliebte, verläßt das Kloster und heiratet ihn."
Der zusammengesackte Medienmann richtet sich in seinem Chefsessel auf und sieht mich an, wie man einen völlig Verrückten anschaut, von dem man nicht genau weiß, ob er eine Pistole bei sich trägt.
"Äh", sagt er in sanftem Ton, um mich nicht zu provozieren, die eventuell vorhandene Pistole zu ziehen, "diese Geschichte gibt es schon. 87mal als Roman und 218mal als Film."
"Ja, schon", antworte ich, "aber meine Geschichte handelt von einer 63jährigen Äbtissin und einem 72jährigen Arzt. Der Arzt ist seit kurzem verwitwet, sucht im Kloster Trost und Beistand und verliebt sich dabei..."
Der Leitende Angestellte hat inzwischen meine Kleidung mit den Augen abgetastet und ist jetzt sicher, daß ich keine Pistole bei mir habe.
"Hören Sie mal", sagt er, "Seniorengeschichten laufen inzwischen ja recht gut, auch über Seniorensex ließe ich mit mir reden. Aber Ihre Geschichte ist so was von an den Haaren herbeigezogen, so unrealistisch, so ein hanebüchener Scheißdreck, daß es nicht zu sagen ist."
Er atmet schwer, wahrscheinlich ist ihm grade eben der Gedanke gekommen, daß ich vielleicht einen winzigen Colt Derringer bei mir haben könnte.
"Ach, übrigens", fügt er hinzu und spielt mit einem langen, scharfgeschliffenen Brieföffner, "die Tür ist zwei Meter hinter ihnen."

In diesem Moment bedauere ich es aufs Höchste, meinen Colt Derringer nicht eingesteckt zu haben und verlasse das Büro.


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